Medizinstudierende in den Ländern Baden-Württemberg und Bayern sehen sich durch die Verschiebung der M2-Prüfung benachteiligt
Fachschaften fordern Gleichbehandlung der Medizinstudierenden an deutschen
Universitäten
Die Verbreitung des SARS-CoV-2 führt zu weitreichenden Einschnitten im öffentlichen Leben. Dies trifft auch den Studienbetrieb an deutschen Universitäten. Seit Monaten bereiten sich bundesweit die Medizinstudierenden des fünften Studienjahres auf das „zweite Staatsexamen“, den zweiten Abschnitt der ärztlichen Prüfung (M2), vor. Die schriftliche M2-Prüfung ist die umfangreichste Prüfung im Verlauf des Medizinstudiums und stellt den Eintritt in das sich anschließende Praktische Jahr (PJ) dar, den letzten Abschnitt des Medizinstudiums. Das Examen wird bundesweit zu einem festen Termin abgelegt, laut Plan vom 15. bis 17. April 2020.
Angesichts der aktuellen „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in einer Verordnung vom 30.3.2020 den Ländern empfohlen, den zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung zu verschieben und die Studierenden direkt in das PJ zu schicken. In der Praxis bedeutet die Empfehlung des BMG einen vorgezogenen Beginn des PJs, vier Wochen vor dem geplanten Termin, und vor allem, dass das zweite und dritte Staatsexamen (M2 und M3) im Anschluss an das PJ, im Frühjahr 2021, gemeinsam abgelegt werden müssen. Die Verordnung des Bundesministeriums ist jedoch nicht verpflichtend, da den Ländern innerhalb dieser Verordnung eine Ausnahmemöglichkeit eröffnet wird, die M2-Prüfungen wie geplant durchzuführen.
Während die Mehrheit der Bundesländer sich vergangene Woche für eine Durchführung des zweiten Staatsexamens zum geplanten Termin entschied, folgten einzig Baden-Württemberg und Bayern der Empfehlung des Bundesgesundheitsministeriums, die M2-Prüfungen in das kommende Jahr zu verschieben. Dabei berufen sich die zuständigen Landesregierungen und Landesprüfungsämter für Medizin und Pharmazie darauf, dass das Examen in Baden-Württemberg und Bayern „unter den hierfür in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht realisiert werden könne“.
Als Vertretungen der mehr als 3000 von dieser Regelung betroffenen Studierenden wenden sich die Fachschaften Medizin in Baden-Württemberg und Bayern gemeinsam gegen die offensichtliche Benachteiligung gegenüber den Studierenden anderer Bundesländer. Denn die aus den derzeitigen Entscheidungen resultierenden Konsequenzen sind weitreichend:
Anstatt das in mehr als drei Monaten der Prüfungsvorbereitung erarbeitete Wissen in eine erfolgreich abgelegte schriftliche Prüfung münden zu lassen, sollen sich die Studierenden dieses Wissen während des letzten Abschnitts des PJ, parallel zur Vorbereitung auf die praktisch-mündliche M3-Prüfung, erneut aneignen. Diese Kombination aus Examensvorbereitung und gleichzeitiger Arbeit im Krankenhaus führt zu einer extremen psychischen und körperlichen Belastung.
Der Beginn des PJ vier Wochen früher als geplant resultiert in einem zeitlichen Versatz zu den PJ-Tertialen bzw. -Quartalen an den Universitätskliniken und Lehrkrankenhäusern anderer Bundesländer. Dadurch ergeben sich Probleme bei der Durchführung des Praktischen Jahres an Krankenhäusern außerhalb der betroffenen Bundesländer. Dies beschränkt die Studierenden in ihrer Ausbildung und birgt erhebliche finanzielle Risiken. Hinzu kommt, dass Kliniken in anderen Bundesländern angekündigt haben, das bestandene M2 als Einstiegsvoraussetzung für das PJ zu werten. Diese Regelung bedroht somit auch bereits geschlossene PJ-Verträge.
Das Praktische Jahr ist der finale Ausbildungsabschnitt des Medizinstudiums. Im Mittelpunkt steht dabei der Umgang mit dem Patienten und die Vermittlung von klinisch-praktischen Lehrinhalten. Da die Lehrenden zurzeit verstärkt in der Krankenversorgung gebraucht werden, ist die Befürchtung groß, dass der Unterricht am Krankenbett nicht in ausreichendem Maß stattfinden kann. Das für die persönliche Weiterbildung essenzielle sogenannte Wahltertial kann aufgrund der epidemischen Lage nicht für alle Studierenden garantiert werden. Dies würde eine erhebliche Einschränkung in der fachlichen Orientierung und späteren Spezialisierung bedeuten. Auch eine angemessene Aufwandsentschädigung ist in der aktuellen Situation mit zu erwartenden Überstunden und besonderen Belastungen nicht einheitlich geregelt. Dies führt zu einer zusätzlichen Belastung während des PJ. Diese Aspekte bedrohen insgesamt die Qualität des letzten Abschnitts der ärztlichen Ausbildung.
„Die Hilfsbereitschaft aller Studierenden in dieser besonderen Situation ist extrem hoch. Aber durch die derzeitige Regelung fühlen wir uns eindeutig benachteiligt”, fasst der Mannheimer Medizinstudent Heiner Averbeck das Stimmungsbild der baden-württembergischen und bayerischen Fachschaften zusammen. Die Fachschaften, die über 30.000 Studierende vertreten, beschäftigen sich seit Wochen mit den Auswirkungen der Pandemie auf das Medizinstudium in BadenWürttemberg und Bayern. „Nach wochenlanger Unsicherheit sind wir von den Vorgaben des Bundesgesundheitsministers enttäuscht und empfinden die Regelung als hochgradig ungerecht.“
Eine Online-Petition der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) mit dem Titel „Faire Bedingungen für Praktisches Jahr und Staatsexamina im Medizinstudium in der COVID-19-Pandemie“ fand breite Unterstützung in der Bevölkerung, was sich an über 100.000 Unterschriften bereits in den ersten Tagen zeigte. Trotzdem wurden die darin enthaltenen Forderungen und Argumente zum M2 und PJ nicht beachtet. Mit Blick auf die Verschiebung des M2 und das vorgezogene PJ in Baden-Württemberg und Bayern stellen die medizinischen Fachschaften dieser beiden Bundesländer in ihrer Stellungnahme Forderungen zur Sicherstellung eines weiterhin qualitativ hochwertigen Praktischen Jahres und faire Bedingungen für das Hammerexamen als kombinierte Prüfung aus M2 und M3 im Frühjahr 2021.
Die Fachschaften fordern die Politik auf, die Ungleichbehandlung der Studierenden in Deutschland zu verhindern, die Benachteiligung der Studierenden in Baden-Württemberg und Bayern aufzulösen und gemeinsam mit den betroffenen Studierenden an tragbaren Lösungen für den erfolgreichen Ablauf des Medizinstudiums zu arbeiten.